«König Artus»


Menschheitsgeschichte ist Fortschritt. Eines Tages wird die Utopie einer freien und gerechten Welt ohne Krieg und Gewalt Wirklichkeit werden… oder?

Merlin lebt rückwärts, er kommt aus der Zukunft und weiß, wohin die Menschheit marschiert. Als er King Arthur die Idee von der Tafelrunde einflüstert, die Utopie einer Gesellschaft der Brüderlichkeit, will er nicht die Welt retten. Die Tafelrunde ist sein Experiment, Gedankenspielerei. Doch Arthur nimmt sie ernst. Von Merlin lernt er, sich die Tiere zum Vorbild zu nehmen, die anders als der homo sapiens Krieg nicht kennen. Von Morgaine lernt er Sanftheit, Zärtlichkeit, Liebe. Doch Merlin kennt den Lauf der Weltgeschichte, und der ekelt ihn an.


König Artus, Heilsbringer und Utopist, begegnet uns als von Zweifeln gequälter, dem Tode naher, verzeifelter Held. Seine Erinnerungen und Träume, die Auseinandersetzung mit Merlins Lehren und seinem Zynismus lassen noch einmal die Vision von einer besseren Welt aufflackern, ehe die Hoffnung erlischt.


«König Artus» entstand 2010 in Salzburg.

Tomaz Simatovic - König Artus

Markus Kofler - Merlin

Viviana Escalé - Morgaine

Choreografische Regie, Konzeption: Editta Braun in Zusammenarbeit mit dem Team

Textbearbeitung, Dramaturgie, Coaching: Gerda Poschmann-Reichenau

Komposition: Thierry Zaboitzeff

Lichtdesign: Peter Thalhamer

Bühnensetting: Hubert Schwaiger, Peter Thalhamer, Ausstattung: Arturas Valudskis

Textmontage basierend auf T.H.Whites vierbändiger Romanadaption nach Thomas Malory; Spurenelemente aus Tankred Dorst: Merlin; Originalbeitrag „Merlin kotzt“ von Josef Wittmann


Motivation: „Die Verzauberung durch Merlin, Lanzelot, Ginevra, Morgaine, Morgause, Artus, auch Parzival beginnt in der Kindheit und lässt mich nicht mehr los. Dann tritt Ulrich Müller auf, Professor im Alten Fach an der Salzburger Germanistik, wirft mich mitten hinein in die hochkomplexe Welt der mittelalterlichen Texte rund um diesen Stoffkreis und ermutigt mich und Beda Percht obendrein zu einem Tanzstudium in New York, Hotel Lennox an der 42nd street, dort sollten wir erst mal unterschlüpfen.

Ulrich Müller bleibt einer meiner wichtigen Mentoren, die Artus-Gestalten bleiben Teil meiner Phantasiewelten. Dieser subjektive Zugang reicht natürlich nicht aus, um Sie ins Theater zu bitten. Wozu also den Artusstoff heute bearbeiten?


Warlords würden wir heute diese Könige nennen, die im 5. bzw. 6. Jahrhundert die britische Insel beherrschten, das Gesetz des Stärken war bestimmend, die Clans waren in mörderische Kämpfe verstrickt. Artus – wahrscheinlich gab es ihn als Heerführer, wenn auch nicht als König – schaffte für nur kurze Zeit eine Regulierung dieser Kräfte durch einen Gesetzeskodex und einte Stämme gegen die Überfälle von außen.

Heute agiert das internationale Finanzkapital in einem gesetzesfreien Raum. Gleichzeitig versinken immer mehr Nationalstaaten in Bürgerkriegen. In Staaten ohne funktionierende Zentralregierungen leben die Zivilgesellschaften wie Puppen in einem grausamen Spiel. Somalia, Afghanistan, Sudan, Demokratische Republik Kongo. Und andere.Beide Ebenen beherrscht die Gier. Beiden fehlt jede Vision jenseits eines ausschließlich egozentrischen Blicks. Zeit für neue Utopien.“ (Editta Braun)



DIE GESCHICHTE VON KÖNIG ARTUS: UTOPIE ODER RESIGNATION?

von Ulrich Müller


Die Geschichte von König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde gehört zu den zentralen Stoffen des europäischen Mittelalters, erlebte seit dem frühen 19. Jahrhundert eine unaufhaltsame Renaissance, wurde zuerst in die Neue Welt exportiert und erlangte durch Film und Fernsehen eine weltweite Verbreitung. Es handelt sich dabei nicht um die reale Geschichte von irgendeinen keltischen Fürsten, sondern um einen Standesmythos, der im Hochmittelalter in der Großen und Kleinen Bretagne, also in England und Nordfrankreich sich im Interesse der neuen weltlichen Führungsschicht ausformte, nämlich des (west)europäischen Rittertums; und er hatte in der Grand Bretagne, aber nur dort, durchaus auch nationale und dynastische Züge.

Dieser Mythos, mit einem modernen Begriff könnte man ihn als mittelalterlichen Fantasy-Stoff bezeichnen (ähnlich wie Tarzan, Superman oder auch den ‚Herrn der Ringe’) hat zwei Gesichter: Zum einen ist er eine Utopie, die eine Welt des Friedens und der gleichberechtigten Gemeinschaft, eben des ‚Runden Tisches’ imaginiert, zum anderen zeigt er, dass ein solches irdisches Paradies nicht zu realisieren ist und an den vielfältigen menschlichen Unzulänglichkeiten scheitert, ja scheitern muss.

Viele Motive haben sich an den Artus-Mythos angedockt:, etwa die Geschichten vom Gral und der Suche nach ihm, vom ‚First Knight’ Lancelot und der unheilvollen Liebe zur Königin Ginevra, von der todbringenden Liebe zwischen Tristan und Isolde, vom Vater-Sohn-Konflikt zwischen Artus und Mordred, der schlussendlich zum Untergang des Artus-Reiches führt. Eine zentrale Gestalt ist die des Magiers Merlin, der von rückwärts lebt, der den jungen Artus erzieht und ihm die Idee der ‚table ronde’, der Tafelrunde gibt, die aber nur scheinbar Gleichheit vermittelt. Dazu kommen verschiedene Frauengestalten um Artus, vor allem seine Gattin Ginevra und seine Schwester Morgaine le Fay:

Alle, die den Mythos nacherzählten und später neu gestalteten, müssen hier eine Auswahl treffen, und dies gilt natürlich auch für die Version der Editta Braun Company: Sie ist inspiriert von den mittelalterlichen Quellen, hier vor allem der umfangreichen mittelenglischen Prosa-Nacherzählung durch Thomas Malory, dann dem modernen mehrteiligen Artus-/Merlin-Roman des in Indien geborenen Briten T. H. White („The Once and Future King“, 1938-1977), sowie der eindrucksvollsten deutschsprachigen Gestaltung des Stoffes, nämlich das Drama „Merlin“ (1981) von Tankred Dorst und Ursula Ehler. Im Zentrum dieser Version stehen drei Personen, Merlin, Artus und Morgane:

     Merlin, der den sozusagen verzweifelten Traum von einer besseren Welt hat; er wagt das Experiment, dessen Verwirklichung zu versuchen; er benützt dafür den jungen Artus, muss aber schlussendlich in bitterem Zynismus feststellen, dass der Plan grandios gescheitert ist;

     Artus (englische Namensform: Arthur), der sich, indem er das Zauberschwert Excalibur aus dem Stein zu stemmen vermag, als der prophezeite König erweist; er ist ein williger Schüler Merlins, erweist sich aber letztlich hilflos gegenüber der Macht der brutalen Realität – er hatte keine Chance;

     Morgaine, mit dem Beinamen ‚le Fay’ (‚die Fee’), im alten Mythos gleichzeitig die Schwester und Geliebte von Artus, die als weibliches Prinzip den beiden Männern gegenübersteht und - vielleicht - in verwandelter Gestalt etwas von der Utopie in die Zukunft vermitteln könnte.

Alle Drei steigern sich in ihrer Phantasie in die Möglichkeit hinein, ihre Utopie in die Wirklichkeit umsetzen.zu können.

Doch Merlin gesteht bald, dass er von Anfang an seine Zweifel hatte:

Es ist hoffnungslos, etwas für die Menschen zu tun – es ist sogar oft gefährlich, überhaupt was zu tun. Das Einzige, was sich für diese Spezies zu tun lohnt, ist, ihren Vorrat an Ideen zu vergrößern. Methoden zur Verbesserung anzubieten, die der Mensch annehmen oder verwerfen kann. So besteht wenigstens eine schwache Hoffnung auf Fortschritt im Lauf der Jahrtausende.

Brutal teilt er das seinem ‚Schüler’ Artus mit, der schließlich ahnt, dass er nur als „Spielzeug“ für ein Experiment missbraucht worden ist:

Als Letzte muss Morgaine erkennen, dass es tatsächlich so ist: ‚Die Geschichte widerlegt die Utopie’ (Dorst/ Ehler): Bleibt ihr am Schluss wirklich nichts anderes übrig, als resignierend auch den letzten Rest von Hoffnung aufzugeben?

Dies alles wird mit den Mitteln des Tanzes visualisiert, nicht erzählend, sondern mit Bildern zu Assoziationen einladend.


Merlin kotzt - Textauszug, Josef Wittman:

MERLIN: Eine neue Gesellschaft der Brüderlichkeit!

Verhandeln auf Augenhöhe, ja. Siehst du den Balken, Bruder?

Menschen! Behaupten, dass sie nicht nur einen Körper haben, sondern auch etwas, das

sie Seele nennen! … Seelen! Pilger, Priester, Kreuzritter, Henker, Huren, Hexen, Helden,

Diebe, Mörder, Schuldner, Fälscher, Bankrotteure, … Krämerseelen! Prügelnde Ammen,

Frauen am Pranger, bettelnde Krüppel, plündernde Soldaten, Hunger, Schlachten, Schwarzer

Tod, finstere Zeiten, jaja!

Und heute? Wenn es keine Schlachtfelder mehr gibt, dann gründet er eben Konzerne. Schwerter zu Pflugscharen!

Prima, dann wächst auf den Feldern der Mohn. Wenn der Feind schwach ist, betrügen dich auch die Freunde:

Komm, kaufen wir eine Bank. Während ihr am runden Tisch gesessen seid, haben eure Feinde an ihrer Unsterblichkeit gearbeitet. Während ihr verhandelt habt, haben die Palastwachen ihre Flinten an fremde Soldaten verkauft - und eure Töchter gleich mit.

König Artus in Rüstung! Draußen fahren Kampfpanzer herum.

Wie lang lebt ein Ritter? Wie lang sein Pferd?

Versucht doch einmal, eine Aktiengesellschaft zu töten. Holen wir doch endlich die Düsenjäger aus den Hangaren und lassen sie

tun, wofür sie gemacht sind! Brennen wir das Land nieder, reinigen wir die

Stadt mit dem Kärcher, retten wir die Welt!

Wir haben Zeit verloren. Aber noch nicht den Krieg.

Lasst die Sirenen heulen. Das Gute wird siegen! Brüderlichkeit!

Vierteilen! Pfählen! Sengen! Köpfen! Kämpfen! Für den Frieden!

Homo sapiens?! Dass ich nicht lache – homo ferox! Homo stultus!!!

Insofern ist der Krieg dann auch wieder eine unschätzbare Wohltat für die Schöpfung als Ganzes, weil er eine schwache Hoffnung auf Ausrottung der menschlichen Rasse bietet.


Auszug aus T.H. White: Das Buch Merlin

„Als sich die Zeltklappe bewegte, schaute er auf. (...) Der König wandte den Kopf ab, es interessierte ihn nicht, wer da gekommen war. Er schämte sich der Tränen, die schwerfällig über seine schlaffen Wangen rannen, doch er war zu niedergeschlagen, um sie zurückzuhalten (...)

„Merlin?“ fragte der König.

Er schien nicht überrascht zu sein.

„Seid ihr ein Traum?“ (...)

„Ich bin überhaupt kein Traum. Ich bin der Mann, an den Ihr Euch erinnert habt.“

„Oh, Merlin, es ist so schlimm geworden, seit Ihr mich verlassen, habt! Alles, was ich mit Eurer Hilfe getan habe, war falsch. Alle Eure Lehren waren Trug. Nichts hat sich gelohnt. Ihr und ich werden vergessen sein wie Menschen, die nie gelebt haben“.

„Vergessen?“ fragte der Zauberer? Er lächelte ins Kerzenlicht und schaute sich im Zelt um (...).

Das Buch Merlin, S. 9 ff